Interview aus der Kieler Hochschulzeitung „Der Albrecht“
von Kristiana Ludwig, Fotos von SN
Anhalten und abfliegen
Für Rollstuhlfahrer beginnen Flüge mit einer Wahl: Kann ich es mir für die nächsten Stunden verkneifen oder möchte ich zu Hause bleiben? Und auf langen Flügen: Kann ich auch mit geöffneter Tür auf dem Klo entspannen oder trinke ich heute lieber gar nichts? Flugzeugtoiletten sind häufig diskriminierend. Kay Macquarrie wohnt in Kiel, er ist Webdesigner und Rollstuhlfahrer. Und kämpft mit einer Petition beim Bundestag für die Umsetzung einer EU-Verordnung, die Fluggesellschaften verpflichtet, Hilfestellung zu leisten. Er pocht dabei auf ein Grundrecht: die Würde.
Was muss, das muss
Als Rollstuhlfahrer Privatsphäre auf der Toilette zu haben ist nicht selbstverständlich – zumindest im Flugzeug. Wenn es überhaupt möglich ist, sie zu benutzen
„Die Tür zu schließen, das war schon königlich“, Sigrid Arnade
Es ist eine sehr private Entscheidung, um die es geht. Möchte man in den kommenden Stunden die Toilette benutzen oder nicht? Und ist das der Fall, möchte man dafür auf eine Reise verzichten? Rollstuhlfahrer müssen sich festlegen, wenn sie ein Flugzeug besteigen. „Ja, natürlich muss ich auf`s Klo“, sagt Kay Macquarrie dann zu den drei Stewards. „Dann steht irgendwann der Pilot vor einem und stellt dich vor die Wahl.“
Macquarrie ist 33, er sitzt seit 10 Jahren im Rollstuhl. Ebenso lange fliegt er, besucht Freunde, die auf dem Globus verstreut leben, besucht Familie in Amerika und reist. Auf Langstreckenflügen bieten die meisten Fluggesellschaften Bordrollstühle an, mit denen es möglich ist, die Gänge und auch die Toilette zu nutzen. Eine EU-Verordnung, die am 5. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist, soll diese Möglichkeit auch auf innereuropäischen Kurz- und Mittelstreckenflügen sicherstellen. 48 Stunden vor Flugantritt können Menschen mit eingeschränkter Mobilität Bordrollstühle anfordern, genauso wie Hilfestellung beim Borden und um „erforderlichenfalls auf die Toilette zu gelangen“. Wie genau diese Hilfe aussieht, ist nicht beschrieben.
:: „Der trinkt dann gar nichts mehr“, sagt Kay Macquarrie
So kämpft der Kieler Webdesigner für „barrierefreies Fliegen“, in seinem Blog, in über 300 Emails in zwei Wochen an Fluggesellschaften und Politiker und mit einer Petition beim Bundestag. Für geräumige Kabinen, in die ein Rollstuhl passt und für standardmäßige Bordrollstühle. Für die Umsetzung der Verordnung.
„Die Tür zu schließen, das war schon königlich“, sagt Sigrid Arnade. Die freie Journalistin ist 52, selbst „Rolli-Fahrerin“ und, wie sie sagt, Vielfliegerin. Den Service des privaten Toilettenganges habe sie erst einmal erlebt – bei Singapore Airlines. Sie ist Mitglied des Sprecherrates des deutschen Behindertenrates und hält Vorträge zu dem Thema, ihr Schwerpunkt sind behinderte Frauen: „Männer können Kondomurinale benutzen und sind damit zeitweise toilettenunabhängig“, sagt sie: „Ich hatte immer das Gefühl, ich kämpfe allein. – Frauen schämen sich oft.“
„Natürlich kann man die Tür schließen, klar“, Jan Bärwalde, Lufthansa
„Es ist natürlich für Behinderte nicht alles einfach“, sagt Jan Bärwalde, Pressesprecher der Lufthansa. Dennoch sei die Unterstützung beim Toilettengang „eine Frage der Zumutung für die Crew“. „Die EU-Verordnung erfüllen wir in vollem Umfang“, nur eben auf Kurzstreckenflügen nicht. Die seien aber auch nicht länger als eine Stunde – im Durchschnitt. Als Entgegenkommen nennt Bärwalde neben einem Betreuungsdienst das Preboarding. „Der Rollstuhlfahrer ist der Erste an Bord“, sagt Sabine Tekil, Sachbearbeiterin im Arbeitsstab der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Etwa eine Stunde vor Abflug habe er keinen Zugang mehr zu Behindertentoiletten: „Das ist ein echtes Problem.“
Auf Langstreckenflügen seien die Toiletten der Lufthansa aber behindertengerecht, betont Bärwalde: „Natürlich kann man die Tür schließen, klar.“ Wie die Kabinen „im Einzelfall“ gestaltet sind, kann er aber nicht sagen: „Da kommen die Flugzeughersteller dazu.“ „Ein Bekannter von mir verkneift es sich auch auf langen Flügen“, sagt Macquarrie: „Der trinkt dann gar nichts mehr.“ – „Für mich ist das kein Service, das ist ein Grundrecht.“
Privatsphäre sei „bei Weitem nicht Standard“, sagt Arnade. Die Umsetzung der EU-Verordnung gehe schleppend voran und Lobbyisten der Luftfahrtbranche seien interessiert daran, „nicht zu viel zu machen.“ „Wir können den Fluggesellschaften da nichts vorschreiben“, sagt Tekil vom Behindertenamt und die Resonanz auf die Anfragen seien „nicht besonders üppig.“ Macquarries Petition für „Barrierefreiheit im Flugverkehr“ wurde bisher von über 400 Menschen mitgezeichnet. „Zehn Prozent Behinderte weltweit repräsentieren keinesfalls Gehbehinderte“, sagt Laufthansasprecher Bärwalde, es handele sich um eine sehr kleine Gruppe von Betroffenen. Aber: „Wir geben denen doch Mobilität zurück.“
:: Kay Macquarrie, Webdesigner und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Kiel